Von
Kurt Vorburger
Das
Rheintal im Werdenbergischen als «Rüebliland» zu bezeichnen ist
sicher nicht übertrieben. Ein Blick auf die Felder beidseits des
Alpenrheins zeigt, wie wichtig diese Feldfrucht für die Landwirtschaft
ist. Die Tatsache, dass heute annähernd der gesamte inländische Bedarf
an Karotten durch unsere Gegend gedeckt wird, unterstreicht die
Bedeutung dieses Produkts für die hiesigen Bauern.
Doch
wie kam es zu dieser wichtigen Stellung des Rüebli in unserer Region?
Dieser Frage nachzugehen bedeutet nicht nur, die natürlichen
Voraussetzungen für das Gedeihen dieser Feldfrucht genauer anzuschauen,
sondern auch ein Stück jüngerer Vergangenheit unserer Gegend, speziell
von Räfis-Burgerau, aufzuarbeiten.
Die Weltwirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf Räfis-Burgerau
Bemerkenswerterweise
stand am Anfang
dieser
Erfolgsgeschichte die Weltwirtschaftskrise der zwanziger Jahre und ihre
Folgen. Besonders hart traf es damals die ansässige Stickerei, als
bereits 1921 die
Exporte einbrachen und der
Niedergang dieser Branche trotz zwischenzeitlich leichter Erholung in
den folgenden Jahren unaufhaltsam fortschritt. In dieser Notlage wandten
sich viele Stickerfamilien, aber auch Arbeiter und (Bahn) Angestellte,
wieder vermehrt der Landwirtschaft und besonders dem Ackerbau zu. Eine
zusätzliche Einnahmequelle eröffnete sich ihnen durch den Anbau von
Gemüse auf dem von der Ortsgemeinde zur Verfügung gestellten Boden.
Zudem förderte die Konservenindustrie, z.B. die Roco in Rorschach,
diese Entwicklung. In den zwanziger Jahren erlangte zuerst der Anbau von
Bohnen und vor allem von «Poidsverts» (bei uns als «Powärli»
bezeichnet) für die Konservenindustrie eine starke Erweiterung.
Der wiederholte Anbau von Erbsen auf denselben Flächen über
mehrere Jahre führte bald zu einer Zunahme von Schädlingen wie der
Gallmücke und der Blasenfüsse und damit zu steigenden
Ertragseinbussen. Als wichtigste Massnahme zur Schädlingsbekämpfung
bot sich die Fruchtfolge an. In den dreissiger Jahren wurden deshalb
weitere Gemüsesorten wie Bohnen, Essiggurken und Einschneidechabis
angepflanzt.
Rüebliernte
in der Falla, Ende fünfziger Jahre. V.l.n.r.: Ernst Zogg, Fritz Beusch,
Ursula Moser-Beusch, Marie Schwendener und
Nina Beusch
Sandiger
Boden begünstigt den Rüeblianbau
Erstmals
im Rheintal angebaut wurden in dieser Zeit auch die sogenannten
Pariserkarotten (kleine runde Rüebli). Das bei uns kurz als «Rüebli»
bezeichnete Gemüse fand in unserer Gegend geradezu ideale natürliche
Voraussetzungen vor, denn die Böden entlang des Rheins mit ihrem tiefen
Gehalt an Tonmineralien und hohem Sandanteil sind wasserdurchlässig und
trocknen nach Regenperioden schnell. Als die besten Aecker für den Rüeblianbau
erwiesen sich bald die Dammklassen entlang des Kanals, entsprechend
wichtig wurden sie für den Anbau dieser Feldfrucht.
Die
Anzahl der Kleinpflanzer, neben Bauern vor allem Sticker und
Bahnangestellte, stieg in unserem Dorf bald sprunghaft an, ja RäfisBurgerau
entwickelte sich in kurzer Zeit zu einem eigentlichen Zentrum des Rüeblianbaus,
eine Stellung, die es bis in die jüngste Vergangenheit hinein behalten
hat. Über 30 Kleinpflanzer ernteten an Spitzentagen mehr als 30 Tonnen
Rüebli. Diese wurden in Säcken zur Haltestelle Räfis-Burgerau gekarrt
und dort, heute undenkbar, auf drei bereitgestellte Eisenbahnwagen
verladen. Gut vorstellbar, welch hektisches Treiben in unserem Dorfe an
einem schönen Sommerabend herrschte, wenn all die Fuhrwerke mit ihrer
stolzen Ernte und den schreienden und lachenden Kindern darauf zur
Bahnstation fuhren.
Beim
Rüebli-Abreissen Ende dreissiger Jahre in der Scheune von Familie Fritz
Beusch,
Erbweg
4. V.l.n.r.: Nina Beusch, Rosmarie Schlegel, Judith
Rohrer, Marie Rutz
(Hebamme,
stehend), Gallus Rutz,
Ursula
Beusch, Werner Beusch und
Blinio
Rada (Gastkind aus Poschiavo)
Eine
Arbeit für die ganze Familie
Bei
der Rüebliernte in den Frühsommerwochen mussten jung und alt zupacken,
es war ein das Familienleben während Wochen prägendes Ereignis. Man
war von frühmorgens bis abends auf dem Feld, wo man oft auch das
Mittagessen unter einem schattigen Baum einnahm. Die Rüebli wurden büschelweise
von Hand ausgerissen und zu einem Haufen aufgeschichtet. Das Kraut riss
man anschliessend möglichst nahe an der Frucht von Hand ab, eine doch
eher monotone Arbeit, bei der man gruppenweise zusammen sass und sich über
«Gott und die Welt» unterhielt. Geerntet wurde bei fast jeder
Witterung. An heissen Tagen schützte man sich mit grossen Schirmen vor
der Sonne oder verlegte die Haufen unter einen Baum, für regnerisches
Wetter hatte man mit einer extra für die Ernte zusammengezimmerten Hütte
vorgesorgt.
Die
Schulkinder mussten während der Rüebliernte, die meist in die
Sommerferien fiel, voll mithelfen. Wie lockte da manchmal der Besuch des
Schwimmbades oder das Spiel mit anderen Kindern. So begnügte man sich
halt an heissen Sommertagen mit einer kurzen Abkühlung im Kanal.
Die
einzelnen Anbauflächen der vielen Kleinpflanzer waren meist klein und
betrugen in der Regel nur einige Aren bis maximal eine Klasse. Da die
Konservenfabriken aber einen guten Preis (25 Rp./kg bereits in den
vierziger Jahren) zahlten, trug der Rüeblianbau wesentlich zum
Auskommen vieler Haushalte bei. Hans Grob, Briefträger und Vater des
gleichnamigen späteren Posthalters, soll einmal bei der Verteilung von
mehr als insgesamt 30'000 Fr. an die
Räfiser und Burgerauer Rüebli- und «Powärli»-Pflanzer gesagt haben,
dass dies ein stolzer Betrag für so ein kleines Dorf sei.
Abgabestellen
Als
Transportmittel für das Erntegut kamen bald auch Lastwagen zum Einsatz.
Die Pflanzer mussten ihre Ernte jeweils abends zu einer Abgabestelle
bringen. Die erste Abgabestelle in Räfis-Burgerau wurde von Michael
Schlegel, auch «Powärli Michalie» genannt, bereits 1929 an der
Churerstrasse (Haus nördlich des heutigen Dorflada) gegründet. Fuhrhalter
Roth aus Räfis spedierte die Ladung zum Bahnhof Buchs, von wo sie mit
der Bahn zur Konservenfabrik weitertransportiert wurde. Später übernahm
Christli Rothenberger vom Fliederweg die Abnahmestelle der Konservenfabrik
Rocco. Pflanzer, die für die in Schaan ansässige Scana (heute Hilcona)
Rüebli produzierten,
brachten ihre Ernte jeweils zur Sammelstelle von Heinrich Müntener «PlattaHeiri»
am Erbweg (eine andere Sammelstelle für die Scana ist dem Autor nicht
bekannt).
Die Mechanisierung und ihre Folgen
Der
Druck nach rationellerer Produktion und als Folge davon, eine zunehmende
Mechanisierung der Landwirtschaft, erfasste auch den Rüeblianbau.
Bereits 1963 wurden in Sevelen die ersten Pariserkarotten mit einem
Vollernter mechanisch geerntet. Wenige Jahre später hatte sich die
mechanisierte Ernte weitgehend durchgesetzt. Dies bedeutete schliesslich
das Aus für alle Kleinpflanzer und damit auch das Ende einer mehr als
vierzigjährigen Tradition. Wo früher ganze Familien in mühsamer Handarbeit
ernteten, fuhren jetzt mächtige Vollernter im Tag- und Nachtbetrieb
durch grosse Rüeblifelder.
Der
sandige Boden der Rheinletten erwies sich auch für den mechanisierten Rüeblianbau
als geradezu ideal, denn die selbst nach heftigem Regen rasch wieder
trocknende Krumme ermöglichte es, die Aecker schnell wieder mit
Maschinen zu befahren. Diese günstigen natürlichen Voraussetzungen
galt es zu nutzen und so führte der ansteigende Bedarf nach Konservengemüse
vor allem in den Gemeinden Wartau, Sevelen und Buchs zu einer Erweiterung
des Rüeblianbaus.
Haltestelle
RäfisBurgerau: eine reiche Ernte wartet auf den Abtransport.
Nachfragerückgang
Diese
auch für Räfis-Burgerau positive Entwicklung hielt an, bis ab Mitte
der achtziger Jahre ein Rückgang der Nachfrage nach Konservengemüse
auch für den Rüeblianbau einen
Wendepunkt
bedeutete. Vom Konsumenten gefragt war nun zunehmend Frisch- und Lagergemüse
und ausserdem sah man sich vermehrt mit ausländischer Konkurrenz
konfrontiert. Der Anbau von Pariserkarotten nahm in der Folge
kontinuierlich ab. Betrug er im St. Galler Rheintal 1986 116 ha, so
waren es 1994 gerade noch 49 ha. Seither hat sich die Anbaufläche auf
tieferem Niveau wieder stabilisiert, ja Werdenberg und Teile von
Liechtenstein haben sich dank den hervorragenden natürlichen
Anbaubedingungen als letztes Anbaugebiet für Pariserkarotten in der
Schweiz behauptet. Für unsere Landwirte wird das Rüebli auch in
Zukunft dank ausgezeichneter
Produktqualität
eine wichtige Einnahmequelle bleiben. Für viele Räfiserlnnen und
Burgerauerlnnen bleiben Erinnerungen an arbeitsintensive aber auch mit
schönen Erlebnissen verbundene Tage auf dem Feld. Kein Zweifel, das Rüebli
hat unser Dorf während vieler Jahre in einer Weise geprägt wie sonst
nirgendwo.
Dank
Der
Autor dankt Michael Schlegel (Räfis), Frau Rohrer-Senn (Stöck) und
Rolf Künzler (St. Margrethen) für die wertvollen mündlichen Informationen
sowie Ursula Moser-Beusch (Buchs) und Marie Schwendener-Pfiffner
(Burgerau) für die Fotos.
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