Von
Heinz Nigg, untere Gasse
17, Räfis, Quelle Räfiser Anzeiger 1998
Die
Schweiz feiert in diesem Jahr offiziell 150 Jahre Bundesstaat und 200
Jahre Helvetik. Bereits sind verschiedene Gedenkfeiern und
Veranstaltungen abgehalten
worden,
weitere werden noch folgen. Im Kanton St. Gallen und besonders in
unserer Gegend findet dieses Thema aber eher wenig Beachtung. Dies sehr
zu unrecht, denn gerade für die heutigen Verhältnisse in unserem
Bezirk ist die Zeit um 1798 von entscheidender Bedeutung. Die Revolution
im Werdenberg brachte unseren Vorfahren, welche vorher Jahrhunderte lang
als Untertanen und Leibeigene unterverschiedenen Herrschern gelebt
hatten, die langersehnte Freiheit. Die Landvogtei Werdenberg, bestehend
aus den heutigen Dörfern Grabs, Buchs und Sevelen befreite sich 1798
von einer fast 300 jährigen Herrschaft der Glarner (1517- 1798). Dieser
Übergang verlief auch in unserer Gegend nicht glatt, sondern war durch
ein wirres Hin und Her der Ereignisse, verbunden mit vielen Hochs und
Tiefs für die örtliche Bevölkerung, geprägt. Bei meinen folgenden
Ausführungen geht es mir nicht um eine vollständige Übersicht der
damaligen Ereignisse, sondern vielmehr darum, einzelne Vorkommnisse
in
Räfis-Burgerau nachzuzeichnen und ein Bild über die damaligen Nöte
und Sorgen unserer Vorfahren aufzuzeigen. Ich stütze mich dazu vor
allem auf Band 2 der Werdenberger Chronik von Nikolaus Senn, Buchs, aus
dem Jahre 1862 (Senn, 1862). Wer sich im Detail informieren möchte, dem
sei das Werdenberger Jahrbuch 1998 des historisch heimatkundlichen
Vereins Werdenberg (HHVW, 1997) bestens empfohlen.
Chronik
der damaligen Ereignisse
Anfangs
Februar 1798: Landsgemeinde der Werdenberger, an welcher Richter Marx
Vetsch von Grabs beauftragt wurde "ein den Umständen angemessenes
Schreiben an Glarus abzufassen " (Senn, 1862, S. 308)
4.
Februar 1798: 1.Suppilkationsadresse (Bittschrift) an den hochlöblichen
Kanton Glarus von Marx Vetsch
11.
Februar 1798: 2.Supplikationsadresse an Glarus von Marx Vetsch.
Anschliessend Vermehrte Unruhe in der Bevölkerung, erste, (noch kleine,
versteckte) Freiheitsbäumchen werden aufgerichtet (z.B. "in Buchs
beim Landschreiberhaus, da wo jetzt Georg Rohren, alt Präs. wohnt"
in Räfis und am Grabserberg, Senn, 1862, S. 316)
Anfangs
März 1798: Flucht des letzten Glarner Landvogts Johann Heinrich Freitag
(genaues Datum nicht überliefert).
11.
März 1798: Bestätigung der Freiheit und Unabhängigkeit der Landvogtei
Werdenberg durch Glarus
März
1798: Überall im Werdenberg werden Freiheitsbäume errichtet, Nikolaus
Senn berichtet in seiner Chronik über 28 verschiedene Orte in unserem
Bezirk. Allein auf dem Gebiet der heutigen Gemeinde Buchs standen vier Bäume:
Buchs, Altendorf, Unterräfis und Burgerau.
12.
April 1798: Proklamation der Helvetischen Republik in der damaligen
Hauptstadt Aarau.
September
1798: Ankunft der französischen Truppen unter General Masséna im
Werdenberg. Masséna bezog in der Traube Azmoos sein Hauptquartier.
März
1799: Angriff und Sieg der Franzosen auf Luziensteig und Chur.
1.-
14. Mai 1799: Rückeroberung der Luziensteig durch die Kaiserlichen
Truppen unter General Hotze.
Mai
1799: General Hotze überschreitet den Rhein bei Buchs und Trübbach,
heftige Scharmützel zwischen Franzosen und den kaiserlichen Truppen in
unserer Gegend, Sieg der Kaiserlichen.
2.-
6. Juni 1799: erste Schlacht von Zürich (Sieg von General Hotze)
25./26.
September 1799: zweite, entscheidende Schlacht von Zürich, die
Franzosen schlagen die kaiserlichen Truppen, Sieg von General Masséna.
Oktober
1799: Flucht der Kaiserlichen und Rückkehr der Franzosen in unsere
Gegend.
Revolution
und Kriegswirren in Räfis-Burgerau
Im
Folgenden werden einige lokale Ereignisse, wie sie Chronist Nikolaus
Senn festgehalten hat, wörtlich zitiert. Senn, welcher 1833 geboren
wurde, kannte verschiedene Zeugen aus dieser Zeit noch persönlich. Er
schildert die damaligen Vorkommnisse sehr direkt und authentisch. Seine
Werdenberger Chronik gibt somit die Leiden und Ängste der lokalen Bevölkerung
sehr lebhaft wieder. Die Chronik wurde 1983 durch die BuchsDruck unverändert
neu gedruckt.
Kartenausschnitt
Eschmann-Karte um 1840
Burgerau
Auch
in Burgerau, wo nur wenige Häuser waren, wurde ein Freiheitsbaum
aufgerichtet; er stand ungefähr da, wo jetzt Gemeindrath Nikolaus Senn1
wohnt. Hier sprach man gerne von der Freiheit und Gleichheit; einmal war
stark davon die Rede, die Reichen werden mit den Armen teilen; dies sei
die wahre Gleichheit; aus diesem Grunde gab es ziemlich Viele, die nicht
mehr schaffen, sondern nur noch im Wirthshaus sitzen und essen und
trinken wollten. (Senn, 1862, S. 323)
1
Ein Gemeinderat Niklaus Senn lässt sich für die Zeit von 1860 in
den Gemeinderatsprotokollen von Buchs nachweisen. Leider ist nicht
überliefert, wo dieser in der Burgerau gewohnt hat. (Auskunft
Gemeindekanzlei Buchs)
Unterräfis
Um
diese Zeit wars lustig in den Bergen; alle Tage zogen viele Arbeiter mit
Schützen, Tambouren, Pfeifern und Geigern in die Wälder, um Freiheitsbäume
zu holen. Bald nach der Flucht des Landvogts richteten die Bewohner von
Unterräfis beim Hause des Landsseckelmeisters Christ. Senn, bei der
Brücke2, einen grossen Freiheitsbaum auf. Jedes kleine Mädchen wollte hier
Vorgängerin sein. Ehe man den Baum aufrichtete, assen und tranken die
Arbeiter und die festlich gekleideten Vorgängerinnen und trugen die
grosse Tafel mit der Aufschrift im Dorf herum; dann brachte ihnen der
Landsseckelmeister noch einen Trunk. Der Stamm war vierkantig; weit oben
war eine grosse Fahne angebracht. Der Aestebusch trug einen Tschappel, hübsche
Bänder und eine Freiheitskappe. Nach der Aufrichtung wurde eine Rede
gehalten. Nachher verschafften Musikanten Kurzweil. (Senn, 1862, S. 323)
2
Dieser Ort lässt sich heute noch genau feststellen. Es ist das Haus
des ehemaligen EVRB-Vorstandsmitgliedes, Heini Senn, an der Haldengasse
8 (ergl. Abb.2). Laut Aussage von Heini Senn, lässt sich tatsächlich
in seiner Familienchronik zur fraglichen Zeit ein Christian Senn
nachweisen.
Haus
von Heini Senn, Hadengasse 8, Räfis
Die
Ankunft der Franzosen im Herbst 1798.
Am
14. September 1798 rückten endlich die ersten Franzosen (sie waren von
der 57. Halbbrigade) bei heftigem Regenwetter von Sargans, Wildhaus und
Altstätten her in unser Ländchen ein. Sie waren ganz durchnässt und
hungrig und trugen zerrissene Schuhe und Strümpfe. (...) Von Grabs,
Buchs und Räfis eilten viele Leute den lieben Gästen, nach denen man
sich so lange gesehnt, mit Regendächern entgegen. Alles lief auf die
Strasse und betrachtete wonnetrunken das fremde Militär und die schönen
Monturen; solche hatte man in unserem Ländchen noch nie gesehen. In
jedem Hause wollte man einen Franzosen haben; wem nicht entsprochen
wurde, der zürnte heftig; es war eben noch wenig Militär da; man hatte
in allen Dörfern nur leichte Einquartierung.
Nun
wurden alle Schiffe aus dem Rhein genommen und die Grenzen gesperrt. Am
Rhein mussten die Gemeinden über 20 Wachthütten errichten. Die
Kaiserlichen (Österreichische Truppen unter General Hotze), die schon
im August das rechte Rheinufer besetzt hatten, hatten auch Wachthütten
am Rhein. Nun musste man den Franzosen das Mittagsbrot, Holz etc.
in die Wachthütten bringen.
Ein
Feldweibel der 57.Halbbrigade hatte eine wunderhübsche gefleckte Katze
(weiss, schwarz, roth), die er gestohlen, im Habersack nach Buchs
gebracht und seinen Kostleuten geschenkt. Bald hatte man in der Gemeinde
Buchs überall solche Franzosenkatzen.(Senn, 1862, S. 339-340)
Im
Winter von 1798 bis 1799.
Die
Franzosen blieben den Winter über bei uns; weil sie oft frischen Zuzug
erhielten, konnte denen, die sich beklagt hatten, nun entsprochen
werden. Für die Einquartierung erhielt man zwar nichts, obschon in
vielen Häusern den ganzen Winter über 2 und mehr Mann waren. (...)
Die
beständigen Einquartierungen verursachten am Ende doch Mangel und Noth,
auch viele Mühe; unartigen Soldaten musste man alle Tage sogar von
Grabs und Gams weg, das Mittagessen, Holz etc.
an den Rhein tragen, artige
nahmen den Bauren diese Mühe willig ab, und waren zufrieden mit dem,
was man ihnen gab. In vielen Häusern mussten die Eltern und Kinder im
Stroh auf dem harten Boden liegen, während die Franzosen im Bette
schliefen. (...) In Burgerau im Wirtshaus tranken einige Franzosen Wein
und boten den anwesenden Bauern auch ein Glas voll an. Am Ende sollten
diese auch zahlen; sie weigerten sich und es folgte eine grossartige Prügelei,
der ein herbeieilender Oberst ein Ende machte; die Bauern hatten
gesiegt. (...)
Im
Winter, als der Rhein ganz wenig Wasser hatte, kamen über 40
Kaiserliche zu den Franzosen herüber. Den Winter über fand ein beständiger
Truppenwechsel statt; beinahe alle 8 Tage kamen und gingen einige Comp.
Einzelne Soldaten liessen gerne etwas mitlaufen (Kessel, Pfannen etc.)
und schädigten so die Bauern. (Senn, 1862, S. 340-341)
Der
Kampf auf der Luziensteig.
Zu
Anfang des Jahres 1799 wurde im Vorarlberg ein Armeekorps von ungefähr
20'000 Mann zusammengezogen; es stand, wie das unter General Auffenberg
in Bünden, unter dem Oberbefehl des Generals Hotze. (...)
In
den ersten Tagen des März war's unruhig in unserem Ländchen; viele
Tausend Franzosen rückten in dasselbe ein. Ungeheure Züge Reiter und
Fussvolk zogen aus dem Rheintal bei uns vorbei und nach Trübbach.
Viele, viele
Schiffe
und viele Fuder Eisen wurden vorbeigeführt. (...). Am Abend des 5. März
rückten die "Schwarzen" (Freiwillige) ein; sie waren nicht
montiert, wie die übrigen Soldaten. Sie waren barsch mit den Leuten,
und man fürchtete sie. Nun hatte man mehr als genug Franzosen.
Werdenberg, Buchs und Altendorf hatten 1500 Mann. In jedem Hause waren 6
bis 7, in vielen Häusern 30 und mehr Soldaten. Die ganze Nacht wurde
gesotten, gekocht, gefressen und gesoffen. Niemand konnte schlafen, den
Most stellte man in Kupfergelten auf. (...)
Die
ganze Nacht zogen Streifwachen herum und fortwährend hörte man das
eintönige "pom, pom, pom" der Tambouren. In diesen Tagen gab
es auch belustigende Auftritte. Hans Hofmänner (Ruedis Hans) in der
Judengasse hatte 8 Mohren im Quartier; sein Weib war unzufrieden und
sagte: "Sa lützel as der Tüfel täti die in's Bett; s' wurd jo
alls cholschwarz." (...)
Der
6. März war ein Regentag: Nachmittag um 2 Uhr war die Schiffsbrücke
bei Trübbach, an der auch Joh. Thomas Rohrer von Buchs (Vater des Hans
Rohrer in der Graf) arbeitete, fertig. Dann zogen die Franzosen, ohne
dass die Kaiserlichen es ihnen wehrten, in solchen Massen hinüber, dass
mehrere in den Rhein fielen und ertranken3. Die
Burgerauer und Buchser fischten die Leichen auf und nahmen ihnen die
Habersäcke etc. ab. (Senn, 1862, S. 342344)
3
Vor
ca. 10 Jahren, wurde bei Baggerarbeiten zur Zuführung von Wasser aus
dem Rhein in den Liechtensteiner Binnenkanal bei Balzers, ein aus der
Franzosenzeit stammendes Vorderladergewehr gefunden (Auskunft Klaus
Ritter, Palduinstrasse 29, Balzers).
Die
Ankunft der Kaiserlichen und die Flucht der Franzosen.
Die
Niederlagen bei Oftracht und Stockach, die Resultate der Kämpfe vor
Feldkirch, die Fortschritte der Kaiserlichen und Russen in Italien, etc.
etc. flösten den Franzosen wenig Muth ein. Schon im Frühling, als es
noch kalt war, bezogen sie bei uns, da sie sich nicht mehr sicher fühlten,
Feldlager. In der Graf waren zwei Lager; das eine reichte vom
Landschreiberhaus bis nach Altendorf, das andere von der Graftohle bis
zur Kreuzgasse. Ein Lager war
im
Quader bei Grabs, eins auf dem Hof bei Haag etc. etc. Den Franzosen
musste man nun, was sie brauchten, in die Lager tragen; aus den Lagern
gingen sie in die Wachthütten am Rhein.
Am
18. Mai (1799), am Morgen, liefen viele Buchser auf den Schnecken, um zu
schauen, ob die Kaiserlichen wirklich kommen; der Feind über'm Rheine
hielt diese Neugierigen für Franzosen und schoss mit Kanonen herüber,
bis die Kaiserlichen ins Dorf einrückten. Eine Kugel traf in Buchs auf
dem Bachbord eine Eiche, schlug einen Ast ab, fuhr dann durch die Wand
eines alten Hauses (wo jetzt das Bierhaus steht) und blieb in einem
Federbette liegen.
Die
Kaiserlichen fürchtete man hier entsetzlich, Jedesmal, wann es hiess,
sie werden einrücken, packten die meisten Leute ihre Kleider, Betten
und andere Sachen zusammen und flohen damit auf die Berge; auch das Vieh
trieb man auf die Berge. Viele vergruben ihr Geld und andere Sachen in
der Erde. Dies geschah im April mehrere Male. (...)
Am
Sonntag, den 18. Mai, überschritt Hotze den Rhein bei Trübbach; eine
Kolonne wandte sich gegen Wallenstadt, die andere in's Werdenbergische.
(...)
Die Franzosen flohen immer vor den Kaiserlichen, die sogar bis zu den
Tannenwäldern hinauf alle Winkel durchstöberten, her und stellten sich
oft; dann gab's Gefechte; im langen Graben gab's auf beiden Seiten
Verwundete, auch wurde ein Ross erschossen; als die
Kaiserl. in
Oberräfis anlangten rief ihnen ein Schmeichler zu:
"Willkommen, ihr Herren." Einer schnautzte ihn an: "Wer
hat diesen Freiheitsbaum aufgerichtet?" Der Bauer sagte: "Ein
Spitzbube, der nun mit den Franzosen geflohen ist. "Sofort musste
der Baum umgehauen werden; als er am Boden lag, nahmen die Kaiserl. die
Fahne und schrien den Bauern ins Gesicht: Da habt ihr die Freiheit am
Boden ihr verfluggten Patrioten." Im Feld unter den Burgerauerhäusern
traf ein kaiserl. Husar ein schwarzes, unansehnliches Französchen, das
flüchten wollte, und rief ihm zu: "Holt, du bist gefongen!"
Das Französchen schaffte immer am
Gewehr und rief: "Ick vor mick weiss wohl." Als der Gefangene
immer noch vorwärts lief, rief der Husar noch einmal:"Holt du bist
gefongen." Das Fanzöschen kehrte sich um, schoss den Verfolger vom
Pferde und rief: "S'itz nit gewitz." Es konnte entrinnen.
Als
die Kaiserlichen gegen Altendorf vordringen wollten, stellten die
Franzosen in Altendorf bei Lang Uelis Haus (es steht nicht mehr) eine
Kanone auf und erschossen den Kaiserlichen etwa 200 Schritt unter den Räfiser-Häusern
zwei Husaren (sie wurden in den Wiesen an der Landstrasse beerdigt). Die
Kaiserlichen wichen zurück bis in den langen Graben; die Franzosen
folgten ihnen. Nikolaus Hilti von Werdenberg sagt: "ein Kommissär
und ein Offizier eilten mit den Franzosen in Werdenberg denen in
Altendorf und bei Räfis zu Hülfe. Der Offizier erbeutete ein
verwundetes Rösslein und hätte es in Werdenberg gern um einige Gulden
verkauft, fand aber keinen Käufer." Die Kaiserlichen drangen bald
wieder vor, brachten aber diesmal eine Kanone, die sie unter den Räfiser
Häusern aufstellten; die Franzosen stellten die ihrige in der kleinen
Graf auf, flohen aber bald. Ausser der Kreuzmühle stellte sich ein
Trupp Franzosen; diese schossen so eifrig gegen die dahersprengenden
Husaren, dass diese wieder einige hundert Schritte zurückwichen.
Da flohen die Franzosen durchs Feld herunter; die Husaren eilten ihnen
nach. Beim Richtersteg gab's ein Gefecht; mehrere Franzosen waren, weil
alle auf einmal über den Steg wollten, in den Giessen gefallen. Aus dem
Wasser heraus erschossen sie noch Kaiserliche. Diese stiegen ab,
erschlugen einige Franzosen und verwundeten drei; erstere wurden in der
Nähe des Kampfplatzes beerdigt; letztere trug man in Müller Hagmanns
Stadel; Nikolaus Geiger führte diese nach Azmoos. (...) (Senn, 1862, S.
351-355)
Stiegengässli
10 (Lange Stiege": Im Mauerwerk
dieses
Hauses kann
noch heute eine Steinkugel
bewundert
werden, die aber entgegen der landläufigen
Meinung,
mit der Franzosenzeit nichts
zu tun hat.
Heutige
Spuren und Erinnerungen an die Franzosenzeit.
Durch
meine Recherchen und Gespräche für diesen Artikel ist mir bewusst
geworden, dass auch heute noch immer wieder Hinweise aus dieser bewegten
Zeit gefunden werden können. Im lokalen "Volkswissen" hat
diese Epoche tiefe Spuren hinterlassen. Dies zeigt sich u.a. in
einzelnen, leider immer mehr verschwindenden Mundartausdrücken (z.B.
"Gellerettli" für Uhr = quel heure est il?), in
Ortsbezeichnungen (Franzosenloch am Grabserberg), oder aber auch in Erzählungen
und mündlichen Überlieferungen.
Im
Einzelfall kann es aber auch trügerisch sein, ohne genauere Abklärungen
solchem "Volkswissen" zu trauen, dies zeigt das Beispiel der
Kanonenkugel im Haus am Stiegengässli 10 ("Lange Stiege").
Die dort im Mauerwerk steckende, gut sichtbare "Kanonenkugel"
wird im Volksmund der Franzosenzeit zugeschrieben.
Obwohl
diese Kanonenkugel recht gut mit den oben geschilderten Vorgängen in Übereinstimmung
gebracht werden könnte, ist dies aber sehr unwahrscheinlich. Diese
"Kugel" besteht aus Kalkstein. Steinkugeln wurden aber mit
Kanonen am Ende des 18. Jahrhunderts schon langen nicht mehr
verschossen; schon Ende des 15. Jahrhunderts waren Eisenkugeln
Ordonnanz. Die Französische Artillerie von General Masséna verfügte
pro Halbbrigade über 3 bis 6 Geschütze (wahrscheinlich sog. 4Pfünder),
zusätzlich
verfügte die Division über eine Artilleriekompanie mit 6 Geschützen
und 4 Acht- oder Zwölfpfünderkanonen oder Zwölfpfünderhaubitzen (Eymann,
1979). Diese Geschütze verschossen ausnahmslos Eisenkugeln. Solche
Kugeln wurden bei uns noch vor einigen Jahren vereinzelt dem Alteisenhandel
übergeben (vergl. Abb. 4). Wie diese Steinkugel in die Hauswand der
Langen Stiege gelangt ist, bleibt rätselhaft. Ich glaube, dass sie
irgend einmal eingemauert worden ist. Es ist sogar fraglich, ob es sich
wirklich um eine Kanonenkugel handelt. Es könnte ebensogut ein sonstwie
rund geschliffener Stein sein. Dies um so mehr, als dass im Garten des
selben Hauses mehrere derartig merkwürdig glattgeschliffene Steine
gefunden worden sind (Auskunft von Jan Maire, Stiegengässli 10).
Gut
mit der Geschichte stimmt auch ein weiterer Fund in Räfis überein: Im
Haus an der unteren Gasse Nr. 14 wurden bei einem Umbau im Jahre 1993 in
einer uralten Strickwand einige runde Bleikugeln mit ca. 2 cm Durchmesser
gefunden. Leider gingen sie im Verlaufe des Umbaus verloren und können
nicht näher untersucht werden; der Beschreibung nach könnte es sich
sehr wohl um Vorderladerkugeln gehandelt haben (Auskunft von Andreas
Hanselmann, untere Gasse 14).
Links:
Eiserne Kanonenkugel, 8-Pfünder, aus dem Nachlass von
Kaspar
Vetsch, Alteisenhändler, Rappenloch, Buchs.
Rechts:
glattgeschliffener Stein, gefunden im Garten des Hauses
Stiegengässli
10.
Der
Schluss liegt nun verführerisch nahe, diese Kugeln mit den Gefechten
vom 18. Mai 1799 in Verbindung zu bringen, vor allem da gemäss Nikolaus
Senn die Kaiserlichen im Bereich dieses Hauses eine Kanone aufgestellt
hatten.
Ende
des letzten Jahrhunderts wurden von Andreas Tischhauser (Jahrgang 1885,
Grossvater des Berichterstatters) bei Grabarbeiten für einen Brunnen
beim Haus an der Lutzigers Halde Skelett- und Uniformreste eines
Franzosensoldaten gefunden (Auskunft Mario Robbi, Churerstr. 92A, Räfis,
gem. seiner Mutter Babetta Robbi-Tischhauser).
Leider
geht solches Wissen immer schneller verloren. Es wäre aber gerade auch
zur Wahrung der dörflichen Identität wünschenswert, wenn es, analog
der Werdenberger Chronik, festgehalten würde. Sicher sind in RäfisBurgerau
noch weitere derartige Überlieferungen oder gar Fundstücke vorhanden.
Es würde mich freuen, wenn mir diese zu Handen des EVRB mitgeteilt würden.
Heinz
Nigg, untere Gasse 17, Räfis
Haus
an der unteren Gasse Nr. 14, Zustand nach Umbau 1993
Literaturhinweise
Eymann, 1973: Der misslungene Angriff des Feldmarschalleutnats
Freiherr von Hotze auf die Luziensteig im Jahre 1799. Stab Fest
Br 13, 1979, 17 S.
HHVW,
1997:
Werdenberger Jahrbuch 1998. Historisch-Heimatkundliche
Vereinigung des Bezirks Werdenberg. 11. Jahrgang, BuchsDruck und
Verlag.
Senn,
Nikolaus, 1862: Werdenberger
Chronik. Ein Beitrag zur Geschichte der Kantone St. Gallen und
Glarus, zwei Bände, 1860 und 1862, vollständiger Neudruck,
Werdenberger Bücherreihe, Band 2, 1993. BuchsDruck und Verlag. |
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